„Der schönste Moment meines Lebens“

Gunzenhausen (red). Wenn man 30 Jahre nach dem Mauerfall bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Umfragen zum Thema DDR durchführt, wird schnell klar, dass in den allermeisten Fällen (fast) kein Wissen mehr darüber vorhanden ist. Aus diesem Grund hatte das Berufliche Schulzentrum Gunzenhausen den 50-jährigen gebürtigen Eisenacher Jens Hase als Zeitzeugen eingeladen, um über das Leben in der DDR und seine eigene dramatische Flucht zu erzählen. Mit eindrucksvollen, authentischen Worten gelang es ihm, die Schüler zwei Stunden lang in seinen Bann zu ziehen, kein Wunder, war er doch bei seiner Flucht genauso alt wie die meisten der Zuhörer.

Die Haltung seiner Eltern sei von Beginn an systemkritisch gewesen, erklärt der in Günzburg lebende Hase. Bereits in der ersten Klasse sollten die Kinder zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden, unter anderem stand das Werfen mit Übungshandgranaten auf dem Stundenplan. Bereits mit 14 Jahren mussten die Jungen mit Maschinengewehren mit scharfer Munition auf menschliche Zielscheiben schießen. Mit all diesen Dingen konnte Hase nichts anfangen, er erlebte deshalb viel Ausgrenzung in der Schule.

Er erzählt nüchtern, welche Schikanen er zum Beispiel mit seinem äußeren Erscheinungsbild – lange Haare und Batikhosen – erlebte. Auch die mehrfache Aufforderung für die Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter zu arbeiten, lehnte er ab. Schlechtere Noten und spätere Lohnkürzungen in seinem erlernten Beruf als Lager- und Transportfacharbeiter waren an der Tagesordnung, seine Abneigung gegen das System wuchs stetig.

Als sein Vater einen Herzinfarkt erlitt, entschieden sich die Eltern, auch auf Anraten eines Arztes, Ausreiseanträge zu stellen, um seinem Vater besser helfen zu können. Im Juli 1989 durften sie dann das Land binnen 24 Stunden verlassen, allerdings ohne ihren Sohn Jens, der alleine am Bahnsteig zurückblieb. „Das war damals ein Abschied für immer für mich.“

Als er im Westfernsehen sah, dass schon viele Ostdeutsche über Ungarn flohen, entschloss auch er sich dazu, das Land zu verlassen. Letztlich war die Liebe zu seinen Eltern größer als die Angst. Der damals 19-Jährige stopfte ein paar Sachen in seinen Rucksack und stieg in den Zug nach Prag – in der Hoffnung, von dort aus, in den Westen zu gelangen.

Nach einer zermürbenden Fahrt und einer elfstündigen Odyssee durch Prag auf der Suche nach der bundesdeutschen Botschaft erreichte er schließlich erschöpft, aber unendlich glücklich sein Ziel. In der deutschen Botschaft musste er gemeinsam mit 4.000 anderen DDR-Flüchtlingen unter schlechten hygienischen Bedingungen noch zwei Wochen ausharren.

„Den schönsten Moment meines Lebens“ aber zeigt Jens Hase anhand eines Videos: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“, verkündete der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 30.09.1989 die Ausreise in die BRD, die im Jubel der Flüchtlinge unterging. Eine Szene, die ihn, das spürt man beim Zuhören, auch so viele Jahre später, sehr berührt.

Das Wechselbad der Gefühle war für den jungen Mann aber damals noch nicht vorbei, denn der Zug, der ihn und viele andere in die Freiheit bringen sollte, musste durch DDR-Gebiet fahren. „Anfangs wollte ich auf keinen Fall einsteigen, da war die Angst sofort wieder da.“ Das ging auch den anderen Mitfahrern so, es herrschte angespannte Ruhe. Letztlich stieg er ein, um 21.00 Uhr fuhr der Zug in Prag los und erreichte nach gefühlt unendlichen vielen Stopps am nächsten Morgen um 6.14 Uhr Hof. Als er in Hof den Fuß auf den Bahnsteig setzte, „fühlte er sich wie Neil Armstrong auf dem Mond“, sagt Jens Hase schmunzelnd.

In Hof standen tausende Menschen auf dem Bahnsteig, um die Ankömmlinge zu begrüßen. In der Bahnhofsmission gelang es den Mitarbeitern, die Telefonnummer der Eltern herauszufinden. „Papa, ich bin da, ich komme“, war alles, was er sagen konnte, dann begann er zu weinen, „und mit mir die ganze Bahnhofsmission“.

Zum Abschluss seines beeindruckenden Vortrags gab Jens Hase den Schülern eine wichtige Botschaft mit auf den Weg: „Freiheit ist nicht selbstverständlich und es lohnt sich jeden Tag, dafür zu kämpfen.“

Bildunterschrift: Fachbetreuer Jörg Daschner (links) und stellvertretender Schulleiter Wolfgang Förtsch (rechts) freuten sich über den Besuch des Zeitzeugen Jens Hase. Foto: Staatl. Berufl. Schulzentrum Altmühlfranken

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