Die Zerschlagung eines Mythos – Gunzenhausen setzte sich mit dem NS-Vorbehaltsfilm „Jud Süss“ kritisch auseinander
Gunzenhausen (red). „Der Hass schlägt die Wissenschaft, diese Veranstaltung ist nicht richtig!“ Ein Satz wie ein Damoklesschwert und doch Ausdruck einer tief verwurzelten Angst, die wir als mutmaßlich aufgeklärte Nachkommen der NS-Tätergeneration latent in uns tragen. Wenn wir die stereotypen, vor Hass tropfenden Bilder von damals wieder ans Licht bringen und öffentlich zeigen – fördern wir dann antisemitische Vorurteile? Fakt ist: Der Spielfilm „Jud Süss“ ist ein negativ konnotierter Mythos, ein Stück Zelluloidabfall, um den sich viele Legenden ranken. Seit der Befreiung durch die Alliierten liegt er im Giftschrank der Geschichte, örtlich bei der Friedrich-Murnau-Stiftung in Wiesbaden. Allein das Verbot hält seinen zweifelhaften Ruf am Leben. Zur vorbildlichen Erinnerungskultur der Stadt Gunzenhausen gehört maßgeblich die kritische Auseinandersetzung mit dem Unaussprechlichen. So haben wir „Jud Süss“ nun in voller Länge auf der Hensoltshöhe gezeigt. Umrahmt wurde das Programm von einer wissenschaftlichen Einführung und von einer anschließenden Podiumsdiskussion mit renommierten Historikern. Das zahlreich erschienene Publikum konnte sich aktiv am Diskurs „Antisemitismus zu Unterhaltungszwecken“ beteiligen. Musikalisch umrahmt wurde der Abend von Ruth Tuffentsamer an der Flöte und Sigrid Popp am Flügel.
„Die hässliche Fratze des Nationalsozialismus ist zurück.“ Harte Worte, mit denen der Historiker Dr. Thomas Greif den thematischen Teil des Abends begann. Unrecht hat er sicher nicht, denn Vieles aus dem Dritten Reich ist längst wieder mehrheitsfähig. So ist die rüde Sprache zurück, das Denunziantentum oder das Spielen mit Ressentiments gegenüber Fremden. Doch es stecken immer Menschen hinter den Abgründen. Diese gilt es zu bilden und den Hass aus ihren Köpfen zu vertreiben. Für Dr. Greif ist „Jud Süss“ „Hardcore-Propaganda, die damals als solche nicht klar zu erkennen war“. Verpackt in die unschuldige Form eines opulenten und unterhaltsamen Historienfilms bereiteten Filme wie dieser den Holocaust mit vor. Zentrales Element des Plots war die von den Nazis gefürchtete Blutschande, ein Vergehen, für das auch der Jude Oppenheimer am Ende des Films mit dem Tode bestraft wird. Unter dem stinkigen Mantel der Filmkunst wurde antijüdischer Groll angefacht, der sich 1940 während diverser Kinovorführungen in spontanen Demonstrationen gegen die jüdische Bevölkerung entlud.
Wer heute den Film sieht, der bleibt ratlos und schockiert zurück. Zahlreiche Wortmeldungen im Rahmen des nun angebotenen Abends zeugen von einer Bedrückung. Ein Wortbeitrag fasste es gut zusammen: „Juden wurden dämonisiert und Vorurteile mit der Holzkeule in die Köpfe geschlagen.“ Plakativ spielen Filme wie „Jud Süss“ mit unserer Wahrnehmung. Damals wurde solch ein Propagandastreifen im Schatten des Angriffskriegs auf Polen lanciert. Die Machthaber probierten damit auch aus, wie weit sie gehen konnten. Umso wichtiger ist es, dass Vorbehaltsfilme heute gezeigt werden dürfen. Nur so gelingt eine kritische Auseinandersetzung. „Die Geschichtsvergessenheit ist ein Problem unserer Zeit und bedroht massiv unsere Demokratie“, ergänzte Erster Bürgermeister Karl-Heinz Fitz. „Gerade für jüngere Menschen sind Verbote nur ein zusätzlicher Anreiz. Insbesondere Jugendlichen sollten wir mit Angebote wie diesem helfen, sich selbst eine Meinung zu bilden und Widersprüche kritisch zu hinterfragen.“
Stadtarchivar Werner Mühlhäußer forscht seit Jahrzehnten zur NS-Vergangenheit Gunzenhausens. „Die Akzeptanz des Dritten Reichs und der damit verbundenen Konnotationen reichte tief ins Private hinein. „Jud Süss“ war 1940 in Gunzenhausen der erfolgreichste Film des Jahres. Fast 2000 Eintrittskarten wurden verkauft, rund 400 davon gingen an Jugendliche.“ Der Film war beliebt und galt auch ohne Zwang von oben als „must see“. Der federführende Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels setzte nicht nur auf die schönen Bilder eines Veit Harlans, sondern zusätzlich auf die Popularität der Schauspieler. Bekannte Gesichter wie Kristina Söderbaum, Werner Krauß oder Heinrich George lenkten vom eigentlichen Thema ab und lieferten scheinbar unpolitische Unterhaltungsware.
Radio 8-Moderatorin Birte Montasseri leitete die Podiumsdiskussion mit Ruhe und Sachverstand. Sie stellte den historischen Widerspruch heraus, mit dem jüdisches Leben im Dritten Reich ständig konfrontiert wurde. Zahlreiche, vor allem durch die Nationalsozialisten manifestierte Bilder, etwa das des Geldjuden, sind Zerrbilder, die sich hartnäckig bis in die heutige Zeit halten. Die Historikerin Dr. Andrea Erkenbrecher sprach hierzu einen wichtigen Punkt an: Eine eindeutige Antwort kann es nicht geben, denn obwohl Aufklärung im Vordergrund steht, verfestigen die Leinwandbilder auch Vorurteile. Wer Antisemitismus vorbeugen will, der muss Bildung bieten und den Austausch fördern. Umso wichtiger sind die großen Bemühungen, welche die Stadt Gunzenhausen seit vielen Jahren auszeichnen. So geht die deutsch-jüdische Dialoggruppe den Weg der Annäherung, dazu findet ein Austausch zwischen jungen Menschen aus Gunzenhausen und Israel statt. „Wir wollen ins Gespräch kommen, denn wer jüdische Menschen kennt, der weiß, dass die ganzen Vorurteile großer Humbug sind“, betont Erster Bürgermeister Karl-Heinz Fitz.
Bildunterschrift: Anschließende Podiumsdiskussion mit Dr. Thomas Greif, Katrin Kasparek, Dr. Andrea Erkenbrecher, Stadtarchivar Werner Mühlhäußer und Moderatorin Birte Montasseri. Foto: Stadt Gunzenhausen, Teresa Biswanger