Im Westen nichts Neues – Willkommen in der Hölle!

Gunzenhausen (red). „Mit zerbrochenen Brauen, silbernen Armen – winkt sterbenden Soldaten die Nacht.“ Der Dichter Georg Trakl war nur einer von ganz vielen, die ab 1914 in den Sog einer nie dagewesenen Apokalypse hineingezogen wurden. In den nächsten vier Jahren tobte der Erste Weltkrieg und viele Geschichten wurden geschrieben, Geschichten über Leid, Schmerz, Tod und Vergessen. Die Welt war zu einem anderen Ort geworden und sonnte sich schwerverwundet im Zustand eines Nervenzusammenbruchs. Waren während des Kriegstreibens unzählige Soldaten namenloses Kanonenfutter geblieben, so gab es punktuell Literaten, die versucht haben, dem Untergang ein persönliches Gesicht zu geben. So etwa Erich Maria Remarque, der in seinem Antikriegsromanklassiker „Im Westen nichts Neues“ (1928) den anfangs 19-jährigen Paul Bäumer den Schrecken einer ganzen Generation nacherleben lässt. Vergangenes Wochenende wurde der aufwühlende Stoff als Theateradaption auf der Gunzenhäuser Stadthallenbühne gezeigt.

Kriegsteilnehmer berichten, dass Kampfeslärm irgendwann zum Grundrauschen wird. Verstummen das Donnergrollen der Granaten oder die Salven der Maschinengewehre, so erschlägt die Stille. Sie ist unerträglich, bis hin zum verzerrten Geisteszustand. Georg Trakl hätte nun vom Wehklagen der „Geister der Erschlagenen“ berichtet, die die Nicht-Gefallenen bis in die Träume verfolgen. Das Münchner a.gon Theater lässt ihrer „Im Westen nichts Neues“-Besatzung keine Chance, sich dieser Hölle zu entziehen. Ständig laufen Bilder von Schlachtfeldern über die Leinwand und es kracht permanent. Krieg schläft nicht und er gewährt dem jungen Paul Bäumer und seinen Kameraden keine Ruhepause.

Aus dem Klassenzimmer heraus wurde Bäumer angeworben und auf den großen Kampf gegen den Erzfeind Frankreich vorbereitet. Der Lehrer, eindringlich gespielt von Thorsten Nindel, ist ein Goebbels für Arme, ein faschistischer Demagoge, der seine Kriegslüsternheit und seinen Hass mit großen deutschen Literaten wie Heinrich von Kleist begründet. Seine Klasse frisst ihm aus der Hand, doch schnell wird der Wunschtraum von der Realität verdrängt. Was wir erleben, ist das Abschiednehmen von einer Generation, so grün hinter den Ohren, dass sie das Leid viel zu spät kommen sieht. Und die grausamen Eindrücke lassen sich von den jungen Menschen nicht verarbeiten, sie trösten sich mit Galgenhumor und dem Widerstand im Kleinen. Verletzte verdienen keinen Namen mehr, sondern werden nach Krankheitsbildern systematisch sortiert und geordnet. Im Oberstübchen herrscht die Anarchie, der Geist flüchtet vor dem Leben, ein jeder selbst ist sich der größte Feind. Sinnbildlich wird das, als ein frontunerfahrener Major, feurig-kriegslüstern von Christian Buse verkörpert, Disziplin von den Kämpfern einfordert. Diese haben aber längst keinen Bezug mehr zur Realität, ihr Verhalten wird zum pathologischen Fall. Resigniert wendet sich der Offizier von den „Verrückten“ ab.

Gabriel N. Walther spielt den Paul Bäumer mit Hingabe. Die anfängliche Naivität und Begeisterung weicht nach und nach der Verzweiflung. Es ist herzzerreißend, als er der Mutter eines gefallenen Klassenkameraden, gespielt von Lea Geszti, die Todesnachricht überbringen muss. Der laute Klageschrei um das verlorene Kind lässt die Zeit für einen unerträglichen Moment stillstehen. An der Brust des Paul Bäumer beweint sie nicht nur einen persönlichen Verlust, sondern das Ende der Unschuld der eisernen Jugend. Noch längst nicht erwachsen, sind diese längst verbrannt und für die Zukunft verloren. Frei nach Remarque beschränkt sich das Wissen der jungen Soldaten nur noch auf den Tod.

Die Kriegsteilnehmer merken schnell, dass sie kein Recht haben, sich der Hölle zu entziehen. So berührt es, als Paul Bäumer nach einem Lazarettaufenthalt wieder an die Front zurückkehrt und sich sehr über das Wiedersehen mit den Kameraden freut. Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein – hinter dem Schmerz steht das Verlangen nach Auflösung. Das Ich hat keine Bedeutung mehr, zu Hause fragt sich die Gesellschaft nur, warum es mit dem Krieg nicht schneller geht und „was die Jungs eigentlich so alles treiben.“ Selbst Bäumers Mutter verwendet im Heimaturlaub mehr Energie auf die Wahl der richtigen Unterhosen für den Sohn, als darauf, das Leid des Geplagten zu lindern. Was bleibt ist die Wohlfühloase an der Front, eine Anhäufung von gestörten Gleichgesinnten, die nur noch auf den Tod warten.

Schauspielerisch sollen zwei Rollen besonders gelobt werden. Peer-Robin Hagel überragte seine Kolleginnen und Kollegen in Sachen Intensität und Spielfreude. Sein Gesicht sollte man sich unbedingt merken, insbesondere als geistig verwirrter Verwundeter begeisterte er das Publikum nachhaltig. Anna Wagner dagegen trat als engelsgleiches, transzendentes Wesen in Erscheinung. Sie war das Bindeglied zwischen Krieg und Frieden, Tod und Leben. Das weiße, unschuldige Sommerkleid wirkte in Kombination mit Stahlhelm fast schon provokativ, dazu beschenkte sie Gefallene mit roten Rosen und stimmte mit ergreifender Stimme französische Trauerlieder an. Wo Gott keinen Platz hat, wird Erlösung als unerreichbar empfunden. Anna Wagner spielte eine personifizierte spirituelle Erfahrung und war die Hoffnung, welche mit dem toten Paul Bäumer in den Armen auch das an Sinnlosigkeit kaum zu überbietende Schlusswort sprechen durfte: „Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“

„Im Westen nichts Neues“ ist definitiv keine leichte Theaterkost. Es ist eine Geschichte über die Schrecken des Krieges und die Wirkung desselben auf Geist und Zusammenhalt. Leider wird eine solche Geschichte niemals „out“ sein, aktuelle Entwicklungen zeigen das wieder einmal. Woran das liegt? Erich Maria Remarque gibt in seinem Roman die Antwort auf diese wichtige Frage: „Das Grauen läßt sich ertragen, solange man sich einfach duckt – aber es tötet, wenn man darüber nachdenkt.“

Weiter geht´s mit der Gunzenhäuser Theaterreihe in der Stadthalle am 5. April 2025. Dann wird „Avanti! Avanti!“ gezeigt. Tickets gibt es über die Tourist Information (09831/508 300), online unter www.reservix.de oder an der Abendkasse.

Foto: Stadt Gunzenhausen/Manuel Grosser

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