Verteidiger der Grillkultur – nachdenkliche Extrawurst in der Gunzenhäuser Stadthalle

Gunzenhausen (red). Der Türke Erol Oturan ist nicht nur Muslim, sondern auch Anwalt und erfolgreicher Tennisspieler. Für Ewiggestrige ist schon das schwer zu ertragen, aber als Erol auch noch seinen eigenen Grill für seine schweinefleischfreien Extrawürste bekommen soll, da hört der Spaß endgültig auf. Schauplatz ist das längst in die Jahre gekommene Vereinsheim des kleinstädtischen Tennisclubs in Lengenheide. Dort hat sich der ewige Präsident Herbert gerade mit 100%-Stimmen im Amt bestätigen lassen. Was es zum Glück der Tenniscracks noch braucht, ist ein neuer Grill für das anstehende Sommerfest. Wie es sich für die abendländisch-deutsche Kultur gehört ausschließlich für Schweinefleischprodukte und nichts anderes. Was als harmlose Diskussion beginnt, endet schon bald in einem Kampf der Kulturen.

„Extrawurst“ heißt dieses interessante Theaterstück von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, das nun in der Gunzenhäuser Stadthalle aufgeführt wurde. Die beiden Satirespezialisten schreiben sonst Gags für Komik-Klassiker wie Die Wochenshow oder Stromberg und haben auch an der TV-Serie Dr. Psycho mit Christian Ulmen in der Hauptrolle mitgearbeitet. Extrawurst ist ihr Beitrag zur aktuellen Diskussions- und Streitkultur. Was darf man (überhaupt noch) sagen? Wo hört die Toleranzgrenze auf? Und müssen sich fremde Kulturen nicht unserer eigenen unterordnen? Fragen über Fragen, die der Tennisclub während seiner Mitgliederversammlung aufwirft und diskutiert. Dem Publikum wird bald ein verbaler Schlagabtausch geliefert, so spannend wie ein Grand Slam-Tennismatch und so komisch wie eine Satiresendung am Samstagabend.

Neben Präsident Heribert Bräsemann und Erol Oturan sind der zweite Vorsitzende, Matthias Scholz, Tennisspielerin Melanie Pfaff und deren Mann Torsten Pfaff auf dem Podium zu sehen. Die Zuschauer sind mittendrin und agieren als Vereinsmitglieder. Dementsprechend werden sie nicht nur Zeuge des Gesagten und aller Handlungen, sondern werden auch zum Mithörer (und manchmal auch Mittäter). Allesamt als Stereotypen aufgebaut, ist Erol der einzige unter den Protagonisten, der zu Beginn keinen eigenen Grill möchte und auch kein Problem hat. Dabei geht es ja um ihn, das einzige türkische Mitglied des Clubs. Er selbst sieht und fühlt sich als Deutscher, spricht die Sprache perfekt und weiß um die gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Melanie lässt allerdings nicht locker und sieht die Diskussion als demokratischen Prozess mit Höhen und Tiefen. Schnell wird klar: Die Kleinbürgerei hat das Sagen. Schon bald wird immer unklarer, wo die Grenzen zwischen linkem und rechten Gedankengut verlaufen und wo Toleranz aufhört und Intoleranz beginnt. Klammern sich die beiden Vorsitzenden wie Kletten an ihren Posten und sehen jeder Veränderung, dem Mitgliederschwund zum trotz, mit Besorgnis entgegen, so agiert Matthias Scholz als das teils transzendente Gewissen des Vereins und damit auch der Zuschauerinnen und Zuschauer. Er erklärt die Funktionsweise der Religionen und erläutert, wo Rassismus beginnt und Integration aufhört. Dass er sein eigenes Päckchen zu tragen hat und insgeheim eifersüchtig auf Erol ist, das kommt am Ende raus und führt dazu, dass Matthias wohl der einzige ist, der dem Verein den Rücken kehrt und austritt. Ein kleiner Clou am Ende: Erol hat ebenfalls radikale Ansichten und flucht über die deutsche Einwanderungspolitik der letzten 70 Jahre.  Eine Wendung mit Hindernissen, hat er sich als Anwalt von seiner Herkunft scheinbar emanzipiert und sieht sich vielleicht auch als etwas Besseres an, in einer deutschen Kultur und Gesellschaft, in der es das eigentlich nicht geben sollte.

Die Schauspielerin und die Schauspieler agieren auf höchstem Niveau. Gerade die beiden TV-Künstler Gerd Silberbauer und Daniel Pietzuch sind großartig und lieferten eine beeindruckende Performance. Die Besucherinnen und Besucher waren sehr angetan und der ein oder andere Lachflash tönte durch die Stadthalle. Ein kleiner Beigeschmack bleibt am Schluss dennoch: Die Moralkeule war sehr aufgesetzt und kam wenig subtil in Holzhammermethodik rüber. Hier ist dem durchschnittlich gebildetem Mitteleuropäer sicher auch ein wenig mehr Transfer zuzutrauen. Als Handlungs- und Verhaltensanweisung sollte man Extrawurst daher nicht hernehmen, als unterhaltsames Theaterstück ist es eine klare Empfehlung.

Foto: Stadt Gunzenhausen

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