Abschluss der Gunzenhäuser Theaterspielzeit 23/24 – „Und wenn wir alle zusammenziehen?“
Gunzenhausen (red). Sie ist gnadenlos effektiv und radikal, diese junge Generation! Zukunftsfragen werden ignoriert, an realen Problemen wird digital gearbeitet. Mit ihrem Tempo setzt sie eher auf flüchtige Momente, als auf langfristige Prozesse. Da bleibt für die Alten kaum noch Platz. Willkommen im Generationenkonflikt. Die Freunde Jeanne, Annie, Claude, Albert und Jean bekommen ihr fortgeschrittenes Alter im Theaterstück „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ gnadenlos vor Augen geführt. Die Gesellschaft will sie nicht mehr haben und so beschließen die fünf Charakterköpfe eine Wohngemeinschaft zu gründen. Dass das nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen bedeutet, davon konnte sich das Publikum am letzten Samstagabend in der Gunzenhäuser Stadthalle überzeugen. Dort wurde die Komödie als Bühnenadaption nach dem französischen Kinofilm von Stéphane Robelin gezeigt.
Selbst als Politaktivist Jean dem Polizisten auf der Demo eine Flasche an den Rücken wirft, wird er von diesem ignoriert. Sein Freund Albert ist an vorderster Front dabei, leidet aber unter fortgeschrittener Demenz und vergisst deswegen ganz, ihn aufgrund des Misserfolgs zu bemitleiden. Und Claude, ebenfalls am Start, bekommt wegen der ganzen Aufregung einen Herzinfarkt und bleibt auf der Straße liegend zurück. An einem anderen Ort zur gleichen Zeit plant die schwer krebskranke Jeanne ihre Beerdigung und Annie möchte vor dem Abtreten noch möglichst oft ihre Enkel sehen. Eine tiefgehende Entscheidung wird getroffen: Wenn dich die Welt nicht mehr braucht, dann hilft vielleicht ein selbsterrichteter Mikrokosmos. Dieser findet sich im Haus von Annie und Jean, das als Altersresidenz für die Fünf herhalten soll.
Mit Fingerspitzengefühl und typisch französischem Augenzwinkern erzählt Anna Bechsteins Bühnenadaption von „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ viele Alltagsgeschichten. Alte sind eben auch nur Menschen, der geistige und/oder körperliche Verfall zwingt jedoch zur Anpassung und gegenseitiger Hilfeleistung. Jeder WG-Bewohner hat seine Marotten und überhaupt ist das gemeinsame Wohnen gewöhnungsbedürftig. Für das außenstehende Publikum gibt´s dementsprechend viel zu lachen, so setzt der vergessliche Albert schon mal das Haus unter Wasser, Marx-Fan Jean hadert mit dem dekadenten Pool, den seine Frau Annie in den Garten bauen lässt und Jeanne möchte unbedingt in einem pinken Sarg beerdigt werden. Zwischen den Zeilen herrscht viel Traurigkeit, denn letztlich will die Alten keiner haben. Sie sind Ausgestoßene, von der jungen Gesellschaft Vergessene. Das tut weh, Erinnerungen an früher sind zeitweise das Wenige, was als Treibstoff für das Morgen übrigbleibt. Im Falle vom demenzkranken Albert bleibt nicht mal das, selbst den Tod seiner Frau kann er nicht im Kopf behalten.
Der junge Ethnologiestudent Dirk, er wohnt ebenfalls im Haus, ist das Scharnier, welches junge und alte Generation zusammenhält. Er versucht Schnittmengen beider Welten herauszuarbeiten. Und es gibt sie tatsächlich, diese generationenübergreifenden Themenfelder. Leider reduziert der Plot diese auf Sexualität, dem befremdlichen Wunsch nach permanenter Extrovertiertheit und der verzweifelten Suche nach einer letzten Bewahrung von Individualität. Wichtige Fragen werden ausgeklammert, beispielsweise nach einem alternativen, vielleicht aufklärenden Leitbild vom Alter, sinnvoller Kollektivierung oder der Archivierung von Wissen. Als die lockere Jeanne Dirks Beziehung anhand der Körbchengröße seiner Freundin bewertet… hier wird es schon arg plump. Dazu war die Szene unnötig.
Die Schauspielriege, angefangen bei Ursula Buschhorn als Jeanne, Michel Guillaume als Claude und Ursula Berlinghof als Annie spielen exzellent und sehr nuancenreich. Die fünf Freunde harmonieren prächtig, die Gespräch sind authentisch und meist realitätsnah. Das detaillierte Bühnenbild ist Extraklasse und besteht aus beweglichen, drehbaren Einheiten. Es kontrastiert in seiner Flexibilität mit der abnehmenden Mobilität der älteren Generation. Der Übergang vom Film zum Theater funktioniert perfekt, die schnellen Schnitte kompensiert die Bühnenarchitektur. Dazu sind einige Szenen sehr kurz und temporeich, das Publikum wähnt sich im Kino.
„Und wenn wir alle zusammenziehen?“ ist ein als heitere Komödie getarntes tieftrauriges Drama. Am Ende des Stücks sitzt die ihrem Krebsleiden erlegene Jeanne auf ihrem pinken Sarg. Gekleidet im signalroten Totenhemd hält sie ein Sektglas in der Hand und blickt teilnahmslos in die unbestimmte Ferne. Ihr umtriebiger Ehemann Albert sucht sie wieder einmal verzweifelt. Er hat vergessen, dass sie gestorben ist. Die Alten-WG hilft ihm zum x-ten Mal bei der Suche. Eine Szene, die berührt und vielleicht ein wenig Hoffnung geben kann. Wer sich der Endlichkeit des Lebens bewusst ist, kann dieses auch genießen.
Die Gunzenhäuser Theaterspielzeit 23/24 fand ein grandioses Ende. Das neue Programm steht schon fest, los geht es am Sonntag, den 13. Oktober 2024, um 19.30 Uhr mit dem Literaturschmankerl „Moby Dick“. Karten gibt´s über die Tourist Information oder das städtische Kulturbüro unter www.gunzenhausen.info, kulturamt@gunzenhausen.de oder Tel.: 09831 508 109.