Großes Theater in Gunzenhausen: August Strindbergs „Fräulein Julie“ lässt bitten!

Gunzenhausen (red). Haben Sie sich schon einmal gefragt, was ein gutes Theater ausmacht? Klar, es braucht Schauspielerinnen und Schauspieler, die ihre Berufsbezeichnung auch verdienen. Dann eine Spielstätte, deren Akustik überzeugt und nicht zum Kopfschütteln bzw. spätestens nach dem ersten Akt zum Davonlaufen zwingt. Und natürlich einen überzeugenden, fesselnden Plot. Leider konzentriert sich das moderne Theater zu oft auf die Unterhaltung und hat damit das Erbe der großen Griechischen Tragödien ein wenig aus den Augen verloren. Statt tragischer Geschichten voller schicksalhafter Verstrickungen und mit einem Lern- sowie Katharsiseffekt am Ende gibt es heute allzu oft Trash-Theater ohne großes Niveau. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, aber zufriedengeben muss sich Theaterfreundin und Theaterfreund nicht damit. Es gilt die wertvollen Perlen im Meer des Theatermodeschmucks herauszufiltern. „Fräulein Julie“ mit Judith Rosmair und Dominique Horwitz als kongeniales Schauspielpaar in den Rollen der Julie und des Jean ist eines dieser Bühnenschmuckstücke. Voller Liebe und Hingabe entführen die beiden Profis das Publikum auf eine dialogreiche tour de force der psychischen und physischen Bedrohungen. Ein Genuss für Schauspielgourmets. Vergangenen Samstag wurde das Stück in der Gunzenhäuser Stadthalle aufgeführt.

Zu August Strindberg und seiner „Fräulein Julie“ wurde in der Vergangenheit bereits viel geschrieben. Der schwedische Dramatiker war umstritten und wurde u.a. als Blasphemist diffamiert. Auch ein Frauenfeind soll er gewesen sein, wobei sein „Fräulein Julie“ mit ihren Taten und Worten dagegen argumentiert. Die naturalistische Geschichte spielt in irgendeiner Mittsommernacht auf irgendeinem Gutshof in Schweden. Von ihrem Dasein und ihrer privilegierten Stellung gelangweilt lässt sich Grafentochter Julie auf eine Liebschaft mit dem Arbeitersohn Jean ein. Dieser wittert seine Chance zum sozialen Aufstieg, wird manipulativ und anmaßend, doch die junge Adelige ist antriebslos, wechselhaft und hadert mit ihrem Schicksal. Gesellschaftliche Konventionen lassen sich nicht einfach so überwinden und ihren versuchten Ausbruch aus dem Standeskorsett bezahlt sie am Ende mit dem Leben.

Bereits die ersten Minuten von „Fräulein Julie“ sind Gänsehaut und Dramatik pur. Dominique Horwitz steigt aus dem Publikum auf die Bühne und tänzelt in Zeitlupe und mit Sonnenbrille auf der Nase gedankenverloren vor sich hin. Judith Rosmair befindet sich ein „Stockwerk höher“ auf einem Vorsprung, sie hält eine Reitpeitsche von sich gestreckt und vollzieht statische, puppengleiche Bewegungen. Dazu kichert sie immer wieder hysterisch. Das Publikum ist irritiert und ein wenig hilflos. Später kommt die Erkenntnis, dass Zuschauerinnen und Zuschauer bereits zu diesem Zeitpunkt ein metaphorisches Spiel der Standesunterschiede beobachten durften. Dazu ist die Atmosphäre außergewöhnlich, das Verhalten ist unnatürlich und wirkt bedrohlich: Dunkle Schatten und leise Musik geben einen Vorgeschmack auf die zunehmende physische und psychische Gewalt im Verlauf des Stücks.

Dem aufführenden Renaissance-Theater Berlin Euro-Studio Landgraf ist ein großes Kompliment zu machen. „Fräulein Julie“ wurde behutsam modernisiert, ohne jedoch den naturalistischen Stil, ein Stück herausgerissenes Leben auf die Bühne zu bringen, zu verkennen. Modern sind Glitzerkleid und Sonnenbrille, dazu Pistole und Rotweinglas. Irgendwann ist in der Ferne Hubschrauberlärm zu hören, der die Ankunft von Julies Vater ankündigt. Im 19. Jahrhundert verankert geblieben sind die grandiosen Wortgefechte zwischen Julie und Jean. Rosmair und Horwitz spielen lange Zeit ein ausgeglichenes Spiel der Macht und fokussieren den ewigen Kampf der Geschlechter auf die Mittsommernacht. Dort durchleben sie Episoden des Hochmuts, aber auch des tiefen Falls, erfahren wechselhafte Liebe und Hass im Schnelldurchlauf. Der Künstlerin und dem Künstler ist Hochachtung zu zollen, denn das Publikum war gebannt vom intensiven Spiel der beiden.

Schön, dass es solch großes Theater auch auf kleinen Bühnen zu bestaunen gibt. „Fräulein Julie“ ist vielleicht nicht Strindbergs bestes Werk, aber auf jeden Fall eines seiner berührendsten. Und wenn es dann noch derart liebe- und hingebungsvoll aufgeführt wird, sollten Theaterfreunde dankbar sein.

Das Stück „Fräulein Julie“ fand im Rahmen der 46. Gunzenhäuser Theater-Spielzeit statt. Diese geht am Sonntag, 16. April 2023, mit der heiteren Komödie „Willkommen im Hotel Mama“ um 19.30 Uhr in die letzte Runde. Nähere Informationen erhalten Sie über das städtische Kulturamt unter Tel. 09831/508 109 oder unter kulturamt@gunzenhausen.de.

Foto: Stadt Gunzenhausen

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